Was muss ein Vorschulkind können? Und seine Eltern?

Was muss ein Vorschulkind können? Und seine Eltern?

Eltern fragen mich oft: Was muss mein Kind zur Einschulung können? Aber kaum einer fragt: Was müssen die Eltern können? Beides ist wichtig! Hier meine Liste, was nötig und unnötig ist, wenn Euer Kind in die Schule kommt. Fangen wir bei den Eltern an:

Was brauchen die Eltern zum ersten Schultag?

  • Augenmaß und Vernunft: Es ist ziemlich egal, ob Euer Kind im Vorschuljahr sagt, dass es sich auf die Schule freut. Vor allem, wenn es Euer erstes Schulkind ist, es also noch keine Hausaufgaben der Geschwister sieht. Warum? Weil Kinder noch gar nicht wissen können, wie Schule ist. Wenn sie sagen "Ich freue mich auf die Schule!", freuen sie sich meist auf Dinge, die gar nicht wesentlich sind: Auf Spielchen, auf die Pause, auf die Schultüte. Je wichtiger Euch diese verzerrte Form der Vorfreude ist, desto härter wird der Aufprall in der Realität auch für Euer Kind sein. Wenn Euer Kind sich aufs Training (nicht: Spielen) im Sportverein freut oder aufs Brennholzstapeln mit dem Opa oder auf eine längere Radtour, dann ist das ein viel besserer Hinweis auf eine gelingende Schulzeit, denn dann kann es sich auch auf solche Dinge freuen, die objektiv anstrengend sind. Und darauf kommt es an, um dauerhaft Freude an der Schule zu finden. Die Schultüte liegt übermorgen achtlos in der Ecke - also liebe Mamas, investiert nicht viel Zeit in sie. Es ist nur ein Behälter für Kram. 
  • Ihr braucht Zeit: Wenn Ihr es Euch finanziell irgendwie leisten könnt, steckt Euer Kind nicht in die Nachmittagsbetreuung, sondern lasst es nach Hause kommen. Macht etwas Frisches zu essen (das kann auch ein Salat und eine Brotzeit sein), führt ein Tischgespräch, macht gemeinsam Hausaufgaben, übt gemeinsam für die Klassenarbeit, übt lesen. Ihr könnt und sollt für eine ansteckende Arbeitsatmosphäre sorgen, indem Ihr auch selbst etwas arbeitet. Aber das muss etwas sein, was Ihr problemlos unterbrechen könnt, z.B. Rechnungen bezahlen, Kartoffeln schälen, Eure eigenen Vokabeln für den Urlaub lernen usw.
  • Ihr braucht einen Plan, z.B. für die Geschwister: Wann schläft das Baby, so dass wir ganz sicher Ruhe haben? Muss ich Arbeitsblätter für das größere Geschwister vorbereiten, das eine schwierige Klassenarbeit hat? Es hilft, wie in einer großen Bibliothek im Flüsterton zu arbeiten, um einander nicht zu stören. Diese kleine Disziplinierungs-Maßnahme sorgt für eine fokussierte Lernatmosphäre.
  • Packt mit Eurem Kind den Ranzen. Ich habe es immer bereut, wenn ich damit nachlässig war. Stellt sicher, dass Euer Kind alles dabei hat, was es morgen braucht, und dass die Sachen in ordentlichem Zustand sind.
  • Ihr braucht Resilienz und Ehrlichkeit! Haltet Euch von Elterngruppen fern, auf WhatsApp und auch beim Stammtisch. Die wenigsten Eltern können Euch wirklich inhaltlich helfen, wenn es mal Probleme gibt. Sie sorgen aber für viel Aufregung und verschwendete Zeit. Fragt Fachleute, wenn Ihr unsicher seid, und nicht die Mama-Gruppe. Überlegt auch ehrlich, warum Ihr in den Elternbeirat wollt: Habt Ihr im Grunde Eures Herzens Angst, dass Euer Kind Ärger mit den Lehrern bekommen wird und Ihr Euer Engagement in die Waagschale werfen müsst, um das auszugleichen? Dann arbeitet lieber an Eurer Erziehung als am Kuchenbuffet! Dick werden wir alle auch ohne noch einen Marmorkuchen. 
  • Habt den Mut, Eurem Kind etwas zuzumuten! Haltet dem Gruppendruck stand - Euren Kindern sagt Ihr doch auch, sie sollen nichts tun, nur weil alle das machen. Das gilt auch für Euch! Euer Kind braucht keinen Rollkoffer für den Schulweg. Die Empfehlung für Schulranzen-Gewichte von 10-15% des Körpergewichts basieren auf einem Marschweg von 20km - ehrlich, Euer Kind kann 4kg für die paar hundert Meter tragen, die es ohne Auto und Bus laufen muss. Es braucht auch im Schullandheim weder Windeln noch mehr als zwei Hosen und Pullis und auch keine Zusatznahrung. Wenn es das nicht aushält, packt nicht mehr ein, sondern macht Euer Kind alltagstauglicher und flexibler, davon hat es mehr Nutzen!
  • Seid Spießer. Alle essen zusammen mindestens einmal pro Tag an einem Tisch, auf dem kein Handy liegt, bei dem man ein Tischgespräch führt, einander anreicht und ausreden lässt. Übers Sofa wird nicht geturnt. Gegessen wird mit Besteck. Und wer Fernsehen will, fragt vorher und hat dann bitte schon eine Stunde in einem Buch gelesen. Wer etwas fallen lässt hebt es auf, wer dreckelt putzt es weg, und wer auf dem Klo war, spült und wäscht sich die Hände. Das macht Eure Kinder weltgewandter und Eure ersten Kindergeburtstage mit den Schulfreunden um Welten angenehmer. Euer Haus, Eure Regeln!
  • Liebt Bildung! Euer Kind kommt in die Schule. Zeigt ihm, dass das Lernen großartig ist, auch wenn die Lehrer manchmal nicht so top sein sollten. Lernt selbst neue Dinge: Fremdsprachen, Programmieren, Häkeln, was auch immer. Zeigt Euren Kindern, dass Ihr fleißig und genau dabei seid und dass auch Ihr Euch durch schwierige Abschnitte und unlustige Phasen durchbeißt. Nutzt die weiterführende Schule, um Euer Mathe-Kenntnisse und Fremdsprachen aufzufrischen. Seht sie als kostenlose Gelegenheit, doch noch Chemie und Französisch zu lernen: Lernt parallel mit Eurem Kind mit. Ein entsprechender Kurs für Erwachsene würde Euch tausende Euro kosten - nutzt diese Gelegenheit! Seht abends nicht fern, sondern lest alle gemeinsam. Kurz: Liebt Bildung und lebt Bildung.

Und was brauchen die Kinder?

Lernverhalten:

  • Zuhören können und sich auf Neues einlassen, auch wenn das nicht selbst ausgesucht wurde. Das heißt: Mitdenken und nachvollziehen, ohne sofort seinen eigenen "Senf" dazugeben zu müssen. Nur so können sich Kinder von den wunderbaren Dingen begeistern lassen, die in der Bildungs-Schatztruhe der Schulzeit stecken.
  • Mut haben, sich den eigenen Schwächen zu stellen. Nur wer immer wieder ermutigt wurde, den Bauklotzturm neu aufzubauen wenn er umfiel, dem Männchen die fehlenden Ohren zu malen oder das Wort nochmal richtig auszusprechen, kann gelassen mit seinen Fehlern umgehen. Fehler machen wir alle täglich Dutzende. Freude am Lernen findet nur, wer sie entspannt annimmt und bereit ist, aus ihnen zu lernen. 
  • Ein Maß kennen und akzeptieren: "Jetzt ist Schluss!" darf nicht zu Drama führen, egal ob es um Schokolade, Fernsehen oder Rennen geht.
  • Andere ausreden lassen, sich nicht für den Nabel der Welt halten und Konflikte friedlich lösen. Das hilft enorm, wenn es darum geht, in der Schule neue Freunde zu finden und auch mit der Lehrkraft gut auszukommen.
  • Mit sichtbaren und unsichtbaren Dingen spielen: Wer mit Zahlen, Logik, Wörterketten, Reimen genauso spielen kann wie mit Lego, Tannenzapfen und Bällen findet zu fast jedem Thema der Schule interessiert Zugang. Und wenn das Interesse einmal da ist, ist es nur noch eine Frage der guten Gewohnheiten oder Begeisterung, ob man es weit mit ihm bringt. Aber mit allem auch Spielen können, alles von mehreren Seiten zu betrachten, zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen, auch Laute, Mengen und Bilder, das ist eine tolle Grundlage.
  • Ein Grundschüler braucht keinen Schreibtisch. Die wenigsten Kinder sind vor dem Teenager-Alter in der Lage, alleine in ihrem Zimmer konzentriert und zielstrebig zu arbeiten. Es ist viel besser, ihr sitzt gemeinsam am Küchentisch - der Erwachsene kann da ja seine Rechnungen bezahlen und seinen Posteingang abarbeiten oder Gemüse schälen. Siehe unten. 

Alltägliches

  • Ein Schulkind sollte es schaffen, nur in der Pause zur Toilette zu gehen. Dass es auf dem Heimweg mal noch einen "Unfall", also nasse Hosen gibt, kommt noch 2-4x in der ersten Klasse vor. Aber das sollten eben ganz seltene Ausnahmen sein, die ihr gelassen abwickelt.
  • Ein Schulkind sollte sich nicht fahren lassen, sondern den Schulweg entspannt und selbständig laufen können. In den ersten Wochen kann ein Erwachsener mitgehen, dann eine Woche vielleicht noch mit Abstand, und dann ist gut. 
  • Ein Schulkind hält seine Versprechen und kommt zuverlässig direkt nach der Schule nach Hause. 
  • Ein Schulkind liegt abends wach in seinem eigenen Bett und schaut noch ein Buch an, ehe es alleine und ohne Drama, Händchenhalten oder Kantenhocker einschläft. Es bleibt auch die ganze Nacht dort, bis morgens der Wecker klingelt, und geht nicht auf Wanderschaft in anderer Leute Betten. Es trägt seine Heimat im Herzen, fühlt sich geborgen in seiner Wohnung und ist autonom darin, eine kuschelige Einschlafposition zu finden und so selbständig einzuschlafen.
  • Was braucht ein Schulkind nicht? Ein Handy! Und schon gar kein Smartphone und auch keine Uhr mit Ortungsfunktion. Ausnahme: Ihr lebt in einem Kriegsgebiet oder bei Euch tun sich regelmäßig rätselhafte Erdlöcher auf. Ein Smartphone sollten Kinder erst ab 14 Jahren bekommen und auch dann nur mit Bildschirmzeit-Verwaltung. Ein Tastenhandy kann nötig sein, wenn es in der weiterführenden Schule den öffentlichen Nahverkehr benutzt und dieser oft ausfällt. Kein Grundschüler braucht ein Handy.
  • Macht Euch auch keinen Stress mit der gesunden Brotzeit. Für den Stoffwechsel ist es am besten, wenn man nicht in kurzen Abständen futtert. Wenn Euer Kind ein Käsebrot haben will, wunderbar. Aber wenn es einfach keine Brotzeit will: Macht nix! Kinder werden heute eher zu dick als zu dünn, also lasst Euch nicht verrückt machen von den Instagram-tauglichen Bento-Boxen anderer Mamas. Gebt ihm einen Apfel oder Müsliriegel mit für den Fall der Fälle, und schaut freitags nach, ob der immer noch im Ranzen liegt. 
  • Eine Wasserflasche ist ganz nett, aber auch Kinder müssen nicht im Unterricht trinken, das stört nur. Wenn, dann aber auf jeden Fall Wasser, fangt gar nicht erst mit Capri-Sonne und Kakao an.

Buchstaben, Lesen und Schreiben

  • Euer Kind sollte den Unterschied zwischen Buchstaben und Lauten kennen, so wie man ihn z.B. in unserer Vorschul-Fibel lernt. Es sollte außerdem verstehen, dass die Buchstaben in der richtigen Reihenfolge stehen müssen und den Klang von langen und kurzen Vokalen unterscheiden können.
  • Euer Kind sollte ein Wort in Laute zerlegen können wie in "Auf der Mauer, auf der Lauer", nicht nur in Silben. Es sollte auch Vokale intuitiv finden und ersetzen können wie in "Drei Chinesen mit dem Kontrabass".
  • Es sollte auch reimen können und zwar auch nach Vorgabe, also z.B. "Reime mal ein Quatschwort mit L: Milch - Lilch". (Auch das ist in  unserer Vorschul-Fibel enthalten).
  • Euer Kind sollte unbedingt alle Laute richtig sprechen können. Das ist viel, viel wichtiger als Früh-Englisch! Wer bei Einschulung immer noch "Sneemann" sagt statt Schneemann, "Tinderdarten" statt Kindergarten usw. bekommt Probleme beim Schreiben dieser Laute. Lautbildungsstörungen lassen sich relativ leicht bewältigen, aber nur, wenn Ihr sehr viel übt. Hilfen dazu findet Ihr hier. 
  • Lasst Euch nicht verunsichern, wenn behauptet wird, man müsse balancieren und turnen können um schreiben zu lernen, weil die Psychomotorik dafür so wichtig sei. Turnen und spielen sind schön für die Fitness, aber diese Art Grobmotorik hat auf das Lernen von Lesen, Schreiben und Rechnen keinen Einfluss. Zum Glück! Sonst könnten Rollstuhlfahrer kaum Schreiben lernen. Und Stephen Hawking wäre nie Professor geworden.
  • Es ist auch egal, wenn Euer Kind den Kalender nicht beherrscht oder die Wochentage. Die Wochentage muss man im Lauf der ersten Klasse aufsagen können und den Kalender dann im Lauf der zweiten als verschachteltes Prinzip begreifen, aber ein Vorschüler muss das noch nicht.

Rechnen

  • Zahlen aufsagen reicht nicht. Euer Kind sagt die Zahlen bis 20 auf, wenn es die Treppe hochläuft? Schön, aber das sagt wenig über seine mathematischen Kenntnisse aus. Die Zahlen kann man wie ein Gedicht auch ohne Verständnis aufsagen. Das einzige, was Euch das verrät: WENN Euer Kind wirklich genau eine Zahl pro Stufe sagt, hat es die sogenannte 1:1-Zuordnung verinnerlicht, einen wichtigen Baustein. 
  • Viel wichtiger ist, dass Euer Kind die Mengen bis 5 auf einen Blick erfassen kann. Man nennt das einen "simultanen Mengenbegriff". Das sollte nicht nur beim Würfeln klappen, sondern auch mit anderen Mitteln. Wenn Ihr z.B. für eine halbe 1 Sekunde 4 Finger zeigt, muss Euer Kind sagen können "Das waren 4 Finger". Ebenso sollte es wissen, dass man einen 4er Lego-Stein durch zwei 2er oder einen 3er und einen 1er ersetzen kann. Wenn Ihr Mensch-ärger-dich-nicht spielt, sollte es sein Männchen in einem Schritt 3, 4 oder 5 Felder weiter setzen können, statt jeden Schritt einzeln zu gehen. Wer das noch abzählen muss, ist nicht fit fürs Rechnen in der Schule.
  • Euer Kind sollte die Begriffe "Ziffern" und "Zahlen" kennen. Sie verhalten sich wie Buchstaben und Wörter: Mit Buchstaben schreiben wir Wörter, mit Ziffern schreiben wir Zahlen. Die Zahl "444.111.222.333" enthält 12 Ziffern und zwar die Ziffern 1, 2, 3 und 4. Die Zahl "11" enthält zwei Ziffern, beide Male die Ziffer "1". Je früher Euer Kind das weiß, desto leichter wird es sich mit dem Dezimalsystem tun.
  • Auch sollte Euer Kind mehrteilige Abläufe vorwärts und rückwärts schildern können, z.B. wie deckt man den Tisch, was zieht man an bevor man aus dem Haus geht oder was mache ich, ehe ich ins Bett gehe.
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